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Manche ziehen frühzeitig Bilanz: Nicht selten höre ich persönlich von einer Person oder in den Medien von den Corona-Gewinnern oder den Corona-Verlierern. Selbst in so einer schweren Periode setzt sich der Leistungsgedanke durch, geht es um Abgrenzung.

Auf Seiten mancher SeniorInnen wird seit einiger Zeit „Rebellion geführt" gegen den Begriff Risikogruppe: Manche(r) fühlt sich deswegen diskriminiert. Ich bin 60 Jahre und habe kein Problem damit - aber das muss jeder für sich selber entscheiden.

Bei älteren und hochaltrigen Menschen geht es seit dem Lockdown tatsächlich um sehr viel dramatischere Auswirkungen: Aus meinem beruflichen wie auch privaten Umfeld weiß ich, wie sehr alte und hochaltrige Menschen während der Zeit des Lockdowns abgebaut haben - die Abbauprozesse, Alterungsprozesse sind mit größerer Geschwindigkeit vorangeschritten und fraglich ist, ob die Uhr wieder zurückgedreht werden kann.

Wir wissen aus der Forschung:

Im Alter muss man sich ein wenig anstrengen, um Abbauprozesse aufzuhalten. Aber es ist grundsätzlich möglich und hat nichts mit dem „üblichen" Leistungsgedanken oder Fitnesswahn zu tun - sondern mit einem erfüllteren Leben im Alter, für das uns Geist und Körper mehr Anregung und Abwechslung ermöglichen: Stimulation ist wichtig.

Im Alter braucht es ein wenig mehr Disziplin und Anstrengung. Wer sich dieser Herausforderung nicht stellen mag - kein Thema, dann läßt man es einfach bleiben.

Fakt aber ist: Wer sich nach der Rente direkt auf die Couch begibt, dessen geistige Leistungsfähigkeit sinkt rapide ab, bis sie sich irgendwann auf einem bestimmten Niveau eingependelt hat.

Wer sich noch etwas beschäftigt und fordert, nicht im extremen Maße, bei dem findet der Abbau langsamer statt und das spätere „eingependelte" Niveau liegt höher.

Das wurde wissenschaftlich untersucht.

Darum ist es absolut nachvollziehbar, dass in SeniorenInnenheimen oder auch Zuhause ältere Menschen - pflegebedürftig, demenzkrank oder auch gesund - während des Lockdowns sehr abgebaut haben.

Ein mir sehr guter 82jähriger allein lebender Nachbar konnte nach seinem Schlaganfall wieder ganz gut sprechen. Das war vor dem Lockdown. Jetzt bekommt er kein Wort mehr heraus, will nirgendwo mehr hin, nur noch weiter Zuhause bleiben: Er schämt sich, weil ihn niemand mehr versteht, während er nach Worten ringt.

Besserung könnte nur mit einem täglichen Training, vielen regelmäßigen Kontakten am besten zu einer Person in seiner Wohnung erfolgen - für ihn ein unrealistisches Szenario. Sein Risiko: Er bleibt „abgehängt".

War man als älterer Mensch immer mit den Frühschwimmern unterwegs, aber dieses Jahr dann eben nicht, ist die Wahrscheinlichkeit größer geworden, im Jahr 2021 ganz damit aufzuhören - auch solche Äußerungen haben mich erreicht.

Im höheren Alter wieder aufzuholen - das schaffen wenige, dazu braucht es viel Disziplin, eisernen Willen. Man rafft sich einfach nicht mehr so schnell auf. Das ist nachvollziehbar. Das gehört zum Alter dazu.

Corona Verlierer?

Viele unserer Hochaltrigen werden schneller altern.

Kranke Hochaltrige werden kränker sein, die Leiden größer.

Da müssen wir uns nichts vormachen.

Selbst viele gesunde jüngere Menschen haben zugenommen und kämpfen jetzt gegen diese Kilos an.

Sich in Anbetracht des vielfältigen Coronaleids als Coronagewinner zu bezeichnen, der oder die hat wohl ein wenig den Überblick verloren über das Ausmaß an Leid, das die „Verlierer" ertragen müssen.

Und damit sind nicht nur unsere Ältesten gemeint.