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Ich kümmere mich mit 65 Jahren seit 2,5 Jahren um meine sehr pflegebedürftigen Eltern (Mutter 87, Vater 88 Jahre alt). Und damit bin ich nicht alleine. Das geht vielen Babyboomern so. Sie alle leiden, lassen sich vom Hausarzt Erschöpfungssyndrom bescheinigen, sind häufig krank. Und außerdem drehen sich auch die meisten Gespräche im Bekanntenkreis nur noch um dieses Thema, weil es eben so belastend ist. Es kostet Zeit, Kraft und belastet die Seele aus vielerlei Gründen. Viele machen sich darüberhinaus auch noch Vorwürfe, nicht genug oder das Falsche getan zu haben, weil sie auch mit den medizinischen Entscheidungen überfordert sind oder waren. Und ja, auch die Ärzte zeigen häufig wenig Einfühlungsvermögen und speisen die Angehörigen einfach so ohne vernünftige Aufklärung ab.

Meine Eltern waren beide bis zum 85. Lebensjahr super fit, und steuerten dann - erst spät aber dafür alles gleichzeitig (MORBIDITÄTSKOMPRESSION) - mit SAE Demenz, Parkinson, Herz-Kreislauferkrankungen etc in die Multimorbidität. Mich hat's nicht überrascht, weil diese „plötzliche" Multimorbidität bekannt ist in der Geriatrie und Gerontologie als ein zunehmend zukünftig sehr typischer Alternsverlauf. Das zeigen Studienergebnisse.

Ich bin Gerontologin, das macht schon vieles einfacher, die Belastung aber nicht weniger. Ich selber stehe persönlich ein für ein positives Altersbild und auch Alters-selbst-bild. Aber in Momenten tiefster Erschöpfung frage ich mich manchmal, ob - oder wie lange noch - ich wirklich so eine positive Grundhaltung zum eigenen Älterwerden aufrecht erhalten kann?

Aber wenn ich so in mich reinhorche, denke ich: Ja das kann ich. Es hat mich nicht erschüttert. Ich leide nicht unter Altersängsten oder denke plötzlich weniger aktiv an meine Zukunft. Aber gut, ich weiß natürlich nie, was sich in den tiefsten Gründen meiner Seele so abspielt. Trotzdem: Ich bin  optimistisch und freue mich auf die kommenden Jahre. Es gibt noch soviel Spannendes zu tun!

Aber anderen pflegenden Babyboomern - ohne gerontologischen Hintergrund - denen macht es einfach Angst vorm eigenen Älterwerden. Und genau das - das wissen wir - ist für Gesundheit, Seele, geistige und körperliche Leistungsstärke im Alter kontraproduktiv. Diejenigen, die diese Zeit durchgestanden habe, meinen nicht selten, es hätte 1-2 Jahre gedauert, bis sie sich wirklich davon erholt hatten. Man ist ja auch in ständiger Alarmbereitschaft, es könnte ja immer etwas passieren. So ein Zustand gräbt sich tief ein, und dann dauert es eine Weile, bis sich der andauernde Stressmodus wieder legt .

Auch höre ich nicht selten: Wenn ich mal so pflegebedürftig werde wie meine Eltern, dann besorge ich mir diese Spritze. Suizid wird immer häufiger mitgedacht, weil es in der BRD seit einiger Zeit eben möglich ist, das selbstbestimmte Sterben. Prominentes Beispiel erst kürzlich die Kessler-Zwillinge. Also ich möchte mir mit 65 Jahren noch keine Gedanken darüber machen, über diese WENN-DANN-Situation. Das liegt ja auch wieder wie ein Damoklesschwert über mir. Oder?

Grundsätzlich wissen wir, dass pflegende Angehörige ein höheres Krankheitsrisiko haben, egal, in welchem Alter. Aber wenn zusätzlich das Altersbild und Alters-selbst-bild negativ werden, kommt eben noch ein weiterer Faktor hinzu. Und von dem wissen wir ja, welch großen Einfluss dieser auf die Alterungsprozesse hat.

Aber ich wage jetzt mal auch einen positiveren Perspektivwechsel: Vielleicht ist es auch genau andersherum:

Babyboomer werden das Älterwerden vielleicht weniger verleugnen, weil sie wissen, was alles davon abhängen kann.

Und:

Die Babyboomer werden vielleicht aufgrund ihrer Erfahrung eine eventuell nahezu vorbildliche Prävention leisten und sich

-noch gesundheitsbewusster verhalten (Bewegung, Ernährung, Alkohol- und Nikotinkonsum kontrollieren),

-mehr Gesundheitsvorsorge in Form von Vorsorgeuntersuchungen, Routinekontrollen vornehmen, besonders wenn sie erblich vorbelastet sind,

-Vorsorgevollmachten und Patienterverfügungen rechtzeitig ausfüllen,

-Erbschaftsangelegenheiten besser und rechtzeitig regulieren, was der Familie viel Ärger erspart,

-sich mehr gönnen und auch auf ihre seelische Lebensqualität achten,

-sich rechtzeitig Gedanken über eine selbstbestimmte Lebensform im Alter machen, vielleicht auf eigene Initiative Wohngemeinschaften gründen, die potenzielle Pflege mitdenken. Oder sich ein entsprechendes Seniorenwohnheim suchen.

In 10 -20 Jahren wissen wir mehr, welche Auswirkungen die private elterliche Pflegesituation der Babyboomer aufs eigene Älterwerden hat.

Aber für heute bitte ich alle, die sich maßgeblich um ihre pflegebedürftigen Eltern kümmern:

Kopf hoch!

Und außerdem: Jeder altert anders!