Ziemlicher Groll kommt in mir auf, wenn ich Berichte über die demographische Entwicklung Deutschlands lese, sehe oder höre. Demnach gehöre ich bald zu einer Generation von Schreckgespenstern, einer drohenden Seuche: die prophezeite Überalterung unserer Gesellschaft.
Dies sollen die Fakten zu sein:
Im Jahre 2020 werden circa 25% aller Deutschen älter als 60 Jahre sein. Da ich in genau diesem Jahr 60 Jahre alt werde, gehöre ich auch dazu.
Im Jahre 2030 sind dann bereits schon 34 % der Deutschen über 60 Jahre alt.
Dargestellt wird diese Entwicklung als steigende Altenlast, als eine unheimliche Vergreisung unserer Gesellschaft, ein nicht zu bewältigendes und nicht zu finanzierendes Altenproblem mit entsprechendem Pflegebedarf.
Als Betroffene frage ich mich: Wie fühlt man sich da?
Das Thema wird so diskutiert, als ob ausschließlich Maßnahmen zur Katastrophenbewältigung die Situation retten könnten.
Sind wir als die „zukünftigen Alten“ tatsächlich so eine unabwendbare Plage?
Die Beschreibung dieses Phänomens bedient sich nämlich fast ausschließlich negativer Stereotypen: die Alten als gesellschaftliche Last, hilfsbedürftig, defizitär, unselbständig, krank, einsam, schwächlich, uninteressiert.
Natürlich gibt es in unserer Kultur schon immer eine eher negative Erwartungshaltung dem Altern gegenüber, aber was zur Zeit passiert, setzt dieser Einstellung langsam die Krone auf.
Foto: Moritz Wagner
In China wird älteren Menschen mehr Respekt entgegen gebracht
und verstecken müssen sie sich auch nicht.
Dabei sei mir ein kleiner ironischer Seitenhieb erlaubt: Auch die Fernsehwerbung von ARD und ZDF bis 20:00 Uhr bildet die öffentliche Meinung zum Altern mit, hier tobt sich die Pharmaindustrie mit ihren Produkten für die ältere Generation aus, die demnach
inkontinent,
schlaflos,
dement,
antriebslos, müde, erschöpft,
unterversorgt,
von Muskel, Gelenk und Rückenschmerzen geplagt ist
und brechende Knochen wie Salzstangen hat.
Ich frage mich, ob wir uns selbst frei machen können von diesem Blick, wie er auf die Älteren und älter werdenden geworfen wird. Übernehmen wir nicht fast unbemerkt und ganz freiwillig diese Bilder und verändern getreu der sich selbst erfüllenden Prophezeiung (oder besser in englisch als self-fulfilling prophecy bekannt) unser Selbstbild in diese (von anderen entworfene) Richtung:
Die ersten Alterserscheinungen werden oft freiwillig eingeräumt, so ist der erste Schritte in die „richtige Richtung“ bereits gemacht. Und wenn wir uns dann endgültig als Opfer des Zerfalls betrachten, ist unser körperliches Unwohlsein schon vorprogrammiert:
Die Entfaltung unserer Potenziale wird verhindert, was in der Folge unsere Kompetenzen mindert. Das führt zu zunehmender Unsicherheit, mangelndem Selbstvertrauen und tatsächlichen Fähigkeitsverlusten. Das hausgemachte Gefühl der Isolation und Nutzlosigkeit kommt auf, und damit werden wir wirklich zur Belastung für die Allgemeinheit.
Verstehen Sie mich bitte jetzt nicht falsch, es geht mir nicht darum, die natürlich Begleiterscheinungen des Alterns zu verleugnen und sich plötzlich „jung“ zu reden. Aber warum wird oft schon ab dem 50. Geburtstag bloß soviel Wind darum gemacht?
Lassen wir diese Altersstereotypen nämlich bei uns selber zu, dann werden wir auch in unserer Außenwirkung immer weniger zu lachen haben. Denn das beeinflusst die Bilder in den Köpfen junger Menschen hinsichtlich der älteren Generation, und wie sie sich dementsprechend den Alten gegenüber verhalten:
Von Offenheit und Neugierde älteren Menschen gegenüber kann dann keine Rede mehr sein.
Unser zukünftiges Dasein reduziert sich mehr und mehr darauf, eine drohende Rentenlücke und unfaire Belastung für die jungen Menschen zu sein.
Diese Haltung den über 60jährigen gegenüber wird zunehmend auf das Schlimmste fest zementiert.
Und dabei sieht die Realität ganz anders aus:
Die Mehrheit älterer Menschen sind glücklich, aktiv und zufrieden und relativ gesund.
Was muss also passieren?
Wir brauche neue Altersbilder, der Blick auf das Alter muss ermutigend und voller Wertschätzung sein, und da hilft nur ein umfassender Bewusstseinswandel.
Machen sie mit, wehren Sie sich, fangen Sie zuallererst bei sich selber an!
Lassen Sie nicht zu, dass sie die negativen Bilder zu den älteren Mitmenschen für sich selbst aber natürlich auch nicht anderen gegenüber übernehmen.
Damit aus uns keine Schreckgespenster werden, sondern wir aufgrund unserer Erfahrung eine Hilfe für die Jüngeren sind. Das werden sie nämlich dringend nötig haben.
Unter den folgenden Links können Sie nachlesen, was unser Familienministerium zu diesem Thema bereits alles angeregt hat:
Initiative „Neue Bilder im Alter“
Altersbilder in der Gesellschaft
Mit besten Grüßen und Wünschen
Ihr "Schreckgespenst"
Dagmar Wagner