Auf dem Foto oben sehen Sie: Abba Naor, links, vor seinem Porträtfoto mit dem Fotografen der Ausstellung BACK TO KAUNAS Michael Shibutz zur Ausstellungseröffnung.
Während viele in der BRD meinen, es sei langsam genug mit dem Gedenken an die Opfer der Konzentrationslager, spricht Abba Naor, ein 97jähriger Zeitzeuge, der mehrere Konzentrationslager überlebt hat, heute noch vor Schulklassen.
Und das ist gut und richtig so.
Denn es gibt kein „Schluß" mit der Aufarbeitung, solange es immer noch offene Fragen gibt. Und genau die gibt es - vor allem in den Familien. Auch heute noch. Und auch in meiner Familie.
Ich spreche zum Beispiel von meiner jetzt 87jährigen Mutter, ein Flüchtlingskind aus Königsberg. 1938 geboren, hat sie ihren 14 Jahre älteren Bruder als Kind nie kennengelernt.
„Er war nie da. Komisch, ich weiß gar nicht, wo er war."
Und das weiß sie bis heute nicht. Anzunehmen ist, dass er als Jugendlicher bereits zum Soldaten ausgebildet, und danach gleich in den Krieg geschickt wurde. Nach Kriegsende dauerte es mehrere Jahre, bis er aus der Kriegsgefangenschaft zu seiner Familie zurückkehren durfte. Das bedeutet i.d.R. eine „schwere Schuld". Aus Respekt ihm und seiner Familie gegenüber möchte ich nicht Näheres zu ihm erzählen.
Meine Mutter weiß also bis heute NICHTS.
Und auch zu ihrem Vater meinte sie erst mit circa 80 Jahren: „Also so, wie er auf den Fotos aussieht, die Frisur, die hohen Stiefel, die Hosen…er sieht doch wie ein Nazi aus."
Auch von ihrem Vater weiß meine Mutter bis heute NICHTS.
Das bedeutet, dass auch ich als Enkelin nichts zu der eventuellen Nazivergangenheit meines Großvaters erfahren habe, bis heute tappe ich im Dunkeln. Ich erinnere ihn als schweigenden Mann, der mit 60 Jahren früh gestorben war.
Mein Sohn hat es da besser. Auch wenn ich 32 Jahre älter bin, haben wir beide mit dem Nationalsozialismus verbundene Großväter. Der Vater meines Sohnes hat die Geschichte seines Vaters irgendwann - auch erst in späteren Lebensjahren - aufgearbeitet und ein Buch dazu geschrieben: Bergheim von Fritz Wagner. Das verdient Respekt und Beachtung. Seine Lesungen sind ausverkauft und regen zu langen Diskussionen an.
Zur Ausstellungseröffnung BACK TO KAUNAS und der Lesung des Hörspiels DAS ANDERE LEBEN im Maximilianeum, dem Bayerischen Landtag, am 28. Januar 2025 wurde ich von Frau Ilse Aigner, der Bayerischen Landtagspräsidentin, eingeladen. Mein Sohn hat mich begleitet und war von der Lesung des Hörspiels DAS ANDERE LEBEN genauso ergriffen wie ich. Ehrlich gesagt, war die mörderische Brutalität der Nazis für mich physisch kaum auszuhalten. NEIN, ich weiß längst nicht alles.
Und so hörten wir eine Stunde zu, um danach gemeinsam zu schweigen.
Mutter und Sohn haben beide Großväter mit NS-Hintergrund, aber es wird eigentlich immer nur in "Nebensätzen" besprochen. Manche denken jetzt vielleicht: Ja, es muss doch auch mal gut sein!
Muss es das?
Diese Veranstaltung hat mich und uns beide gelehrt, dass es eben „nicht gut" sein kann. Zumindest sollten wir über das Schweigen sprechen.
Immerhin hat sein Vater Fritz Wagner das Schweigen mit seinem Buch Bergheim gebrochen, und ich bin ihm sehr dankbar dafür.
Michael Shubitz, Fotograf der Porträts von KZ-Überlebenden aus Kaunas
Michael Shubitz hat zu dem Leiden seiner Familie erst spät recherchiert. Und er sagte an dem Tag: 30% bleibt unausgesprochen, weil die KZ-Überlebenden, meine Familienangehörigen, einfach nicht darüber sprechen wollen oder können.
Unten sehen Sie das Buchcover BERGHEIM von Fritz Wagner:
"In Franz' unbeschwerte und fröhliche Kindheit während der 1950er- und 60er-Jahre in einem kleinen Bergdorf in unmittelbarer Nähe zur Ruinenlandschaft des Obersalzbergs mischen sich immer wieder Irritationen und Fragen – warum ist alles zerstört, was ist dort geschehen? Nachfragen an die Erwachsenen bleiben stets unbeantwortet. Es wird nicht darüber gesprochen – weder zu Hause noch in der Schule noch im Dorf.
Erst in der Pubertät des Protagonisten und nach dem frühen Tod seines Vaters hebt sich langsam der Vorhang, der sowohl über den Verbrechen liegt, die am Obersalzberg begangen und ersonnen wurden, als auch über den möglichen persönlichen Verstrickungen des Vaters." (Zitat Webseite)
Eine ganz besondere Einladung der Bayerischen Landtagspräsidentin Ilse Aigner ins Maximilianeum!
Am 28. Januar 2025 habe ich mit meinem 32jährigen Sohn diese Gedenkveranstaltung besucht.